freie Lektorin und Autorin
Auf dieser Seite führt ein Strandurlaub zur Entwicklung diverser optischer Instrumente.
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In der geometrischen Optik oder Strahlenoptik wird die Wellennatur des Lichtes vernachlässigt und Licht als geradlinige Strahlen aufgefasst. Das kann man solange ungestraft tun, wie die abbildenden und die abgebildeten Gegenstände groß sind verglichen mit der Wellenlänge – Linsen, Spiegel, Blenden … einerseits und abgebildete Gegenstände andererseits.
Das vergrößerte Bild, das durch eine Lupe zu sehen ist, ist ein virtuelles Bild. Virtuelle Bilder lassen sich nicht auf einem Schirm auffangen.
Ein Bild entsteht immer dann, wenn jedem Punkt des Gegenstandes ein Punkt im Bild zugeordnet werden kann. Und zwar genau ein Punkt. Wenn also alle Strahlen, die von einem Objektpunkt ausgehen, in einem einzigen Bildpunkt münden. Hält man einfach nur einen Schirm hinter das Objekt (ohne Linse), treffen auf den Schirm Strahlen, die von den Objektpunkten in unterschiedlichsten Winkeln ausgehen. Andersherum ausgedrückt, treffen auf jedem Punkt des Schirms Strahlen von allen möglichen Objektpunkten auf, die sich gegenseitig überlagern. Deshalb sehen wir ohne Linse kein Bild. Die Linse ordnet nun gewissermaßen die Strahlen und sorgt dafür, dass alle Strahlen eines einzelnen Objektpunktes auch in einem einzigen dazu gehörenden Bildpunkt auf dem Schirm münden.
Der Schirm reflektiert nun aber auch das einfallende Licht, sodass die von dem Bild wieder ausgehenden Strahlen von dort ins Auge fallen können. Deshalb sehen wir das Bild.
Die Bildpunkte selbst existieren aber auch ohne den Schirm. Man kann sich das Bild auch von hinten ansehen (siehe unten Abbildung 9c bis 9e). Ein beeindruckendes Bild, das man auch ohne Schirm sieht, erzeugen zwei Hohlspiegel, siehe 3D-Bilder im Zauberspiegel.
Ein Bild, das auf einem Schirm aufgefangen werden kann, ist ein wirkliches, ein reelles Bild.
Bei der Lupe ist es aber nun so, dass die von den Objektpunkten ausgehenden Strahlen hinter der Linse überhaupt nicht in einem reellen Bild münden, weil sie nicht von der Linse in Bildpunkte fokussiert werden (Abbildung 8). Sie verlassen die Linse als aufgeweiteter Strahl. Wenn wir also von von der Gegenstandsseite aus auf einen Schirm hinter der Linse gucken, sehen wir kein Bild. Wir können den Schirm also getrost ganz weg lassen.
Gucken wir nun aber von hinten, also in Abbildung 8 von rechts, durch die Linse, sehen wir auf einmal ein vergrößertes Bild. Das kommt zustande, weil das Auge (eine Sammellinse) die hinter der Linse aufgeweiteten Strahlen in einen Bildpunkt auf der Netzhaut fokussiert. Nun stellt sich die Frage „Netzhaut-Bildpunkt von was?“
Die tatsächliche Quelle der Strahlen ist ein Gegenstandspunkt (hellgrauer Pfeil in Abb. 8). Auf dem Weg vom Gegenstand über die Linse zum Auge werden die Strahlen aber geknickt, sie verlaufen also nicht geradlinig. Von diesem Strahlen-Knick an der Linse „weiß“ die Augenlinse (oder ein Fotoapparat) aber nichts. Weder Auge noch Fotoapparat kennen die Linseneigenschaften wie Krümmung oder Brechungsindex oder wären gar in der Lage, aus diesen den tatsächlichen geknickten Strahlenverlauf zu ermitteln. Trotzdem sieht man aber einen Bildpunkt. Offenbar gibt es also einen Punkt, der als Schnittpunkt des Strahlenbündels interpretiert wird.
Nun ist der Verlauf der Strahlen in Abb. 8 rechts von der Linse derselbe, wie ihn ein Strahlenbündel hätte, das – ohne Linse – vom Schnittpunkt der gestrichelten Linien ausginge. Die Augenlinse (oder auch oder auch die eines Fotoapparates) kann anhand der Strahlen rechts von der Linse nicht unterscheiden, ob sie links von der Linse den gestrichelten oder den durchgezogenen Verlauf haben. Beide Strahlenverläufe müssen daher im Auge zum selben Ergebnis führen. Daneben wären mit anderen Linsen auch noch beliebig viele andere, geknickte Verläufe denkbar, die ebenfalls zum selben Strahlenverlauf auf der rechten Seite führen. Man sieht den Strahlen rechts von der Linse also nicht mehr an, was links von der Linse mit ihnen passiert ist. Das Strahlenbündel wird in der Augenlinse daher so fokussiert, als erlitte es überhaupt keinen Knick und käme geradlinig aus dem Schnittpunkt der gestrichelten Linien.
Als Quelle des Strahlenbündels, oder als Quelle des Bildpunktes auf der Netzhaut erscheint also der Schnittpunkt der gestrichelten Strahlen – diesen sehen wir.
Wir sehen durch die Lupe also nicht den Gegenstand, sondern das als schwarzen Pfeil in Abbildung 8 gezeichnete Bild des Gegenstandes. Dieses Bild ist ein virtuelles Bild.
Im Gegensatz zu einem reellen Bild kann man das virtuelle Bild nicht auf einem Schirm auffangen, weil das Licht da, wo wir das virtuelle Bild sehen, in Wirklichkeit nie gewesen ist und dort weder Bildpunkte erzeugt noch von diesen wieder ausgehen kann. Bei einem reellen Bild werden die Bildpunkte tatsächlich von gebündeltem Licht am Ort des Bildes erzeugt.
Betrachtet man etwas durch eine Linse (sei es eine Lupe oder ein Fernrohr oder …), spricht man davon, dass man sich dieses Etwas durch die Linse anguckt. Tatsächlich sieht man aber nicht das Etwas, sondern ein Bild davon. Das gilt für die Lupe wie auch für jede andere in Abbildung 4 bis 7 dargestellte Situation. Wenn man von der Bildseite in die Linse schaut (also von rechts in den Grafiken), sieht man nicht den Gegenstand, sondern sein Bild. (Einen Schirm brauchen wir jetzt nicht, der würde im Gegenteil ja nur den Blick verstellen.)
Die Linse bündelt alle Strahlen, die von einem Gegenstandspunkt ausgehen, in einen Bildpunkt. Die Strahlen enden aber nicht im Bildpunkt, sondern gehen weiter. Jeden Bildpunkt verlässt also auch wieder ein Strahlenbündel.
Diese Strahlenbündel, die von den Bildpunkten ausgehen, fallen ins Auge. Da das Auge eine Sammellinse ist, bündelt es diese Strahlen zu einem weiteren Bild auf der Netzhaut (dieses Bild meine ich, wenn ich im weiteren Text von „Netzhaut-Bild“ rede, das Bild, das die Linse in Abb. 4 bis 7 erzeugt, nenne ich „Bild“).
(Nur dadurch, dass auch im Auge eine Sammellinse ein Bild erzeugt, können wir überhaupt etwas sehen – die von jeglichen Bildern und Gegenständen ausgehenden Strahlenbündel weiten sich ja zunehmend auf und solange sie nicht wieder in einen Punkt fokussiert werden, können wir auch kein Bild sehen.)
Die Quelle für dieses Netzhaut-Bild ist also das Bild, und nicht der Gegenstand. Entscheidend ist, dass das Strahlenbündel, das den Netzhaut-Bildpunkt erzeugt, vom Bildpunkt ausgeht – wie es zum Bildpunkt vorher hinkommt, ob von einem Gegenstand oder aus dem Nichts, ist für das Netzhaut-Bild unerheblich. Als Quelle des Netzhaut-Bildes erscheint immer der (vom Auge aus gesehen) erste Schnittpunkt des Strahlenbündels. Ob es davor noch weitere Schnittpunkte im Strahlenverlauf gegeben hat (wie in Abbildung 9a im eigentlichen Gegenstand), darüber sieht man dem ins Auge fallenden Strahlenbündel nichts mehr an. Diese vorherigen Schnittpunkte (und damit der Gegenstand) können daher auch nicht gesehen werden.
Das ist auch gut so – wenn das Auge oder das Gehirn in der Lage wären, den tatsächlichen Strahlenverlauf zu ermitteln und statt des Bildes tatsächlich den Gegenstand zu sehen, hätten Linsen für uns keine Wirkung mehr. Fernrohre, Mikroskope, Brillen würden nicht mehr funktionieren.
Im Falle der Lupe (Abb. 8) passiert im Grunde das Gleiche – das aufgeweitete Strahlenbündel, das die Linse verlässt, wird von der Augenlinse in einen Netzhaut-Bildpunkt fokussiert. Dieser Netzhaut-Bildpunkt entspräche dem Bild des Ausgangspunktes des Strahlenbündels. Dabei ist der Ausgangspunkt eines Strahlenbündels der Punkt, in dem sich die Strahlen bei geradliniger Verlängerung schneiden. Im Gegensatz zu den Abbildungen 4 bis 7 existiert dieser Schnittpunkt aber nicht wirklich. Deshalb sehen wir ein virtuelles Bild und kein reelles.
Was man natürlich sieht, sind Strahlen, die vom Gegenstand ausgehen und an der Linse vorbei ins Auge fallen, wenn der Gegenstand größer ist als die Linse.
Auch auf der Spiegeloberfläche treffen auf allen Punkten Strahlen von allen Objektpunkten auf. Aber jeder davon trifft unter einem anderen Winkel auf die Wasseroberfläche und wird entsprechend auch in einem anderen Winkel reflektiert, wegen des Reflexionsgesetzes. Ins Auge fallen aber nur Strahlen aus einem passenden Winkel – die anderen sieht man nicht. Was dazu führt, dass man ein ordentliches Spiegelbild sieht, weil es bei spiegelnder Reflexion immer nur eine Kombination von Objektpunkt und Einfalls- bzw. Ausfallswinkel gibt, die den Strahl ins Auge fallen lässt. So gehört zu jedem Objektpunkt ein eigener Bildpunkt. Die Strahlen, die ins Auge fallen, haben denselben Verlauf wie ein Strahlenbündel, das seinen Ursprung in dem grauen Punkt hinter dem Spiegel hat (gestrichelte Linien, Abb. 10). Die Fokussierung der reflektierten Strahlen in der Augenlinse ergibt also denselben Bildpunkt auf der Netzhaut, wie die Fokussierung des gestrichelten Strahlenbündels ergeben würde – und ein Netzhaut-Bild des grauen Punktes. Man sieht also den grauen Punkt als Spiegelbild des schwarzen. Da die reflektierten Strahlen jedoch nicht wirklich von dem grauen Punkt ausgehen, ist auch ein Spiegelbild ein virtuelles Bild. (Ein Schirm dagegen ist kein Spiegel, der reflektiert diffus, weshalb es mehrere reflektierte Strahlen zu jedem Objektpunkt gibt, deren Reflexionswinkel sie ins Auge fallen lässt. Deshalb entsteht kein (klares) Spiegelbild.)
Eine Umkehrung des Parabolspiegels stellt ein Scheinwerfer dar.
Michaela, die Assistentin für alles Philosophische und Psychologische, Yoga und Wellness. Chronisch unfrisiert liebt sie alles Chaotische, Kreative und möchte deshalb natürlich Leben im Universum haben.
Luzie, die Assistentin aus dem Untergeschoss, zuständig für alles Brennbare und Explosive, ist der Untergang aller Ordnung und Symmetrie und der Ruin der Nerven ihrer Kolleginnen.
Laplacie, der Laplacesche Dämon, der als fleißiger HiWi immer für Ordnung sorgt und für den nur die Quantenmechanik schlimmer ist als das Aufeinandertreffen aller drei Kolleginnen.
Gott, der Chef, der mit unerschütterlicher Ruhe die Kolleginnen und ihre Arbeiten dahin lenkt, wo er sie hinhaben will, zu einer funktionierenden Physik und irgendwann der Entstehung von Bakterien, Quallen, Nashörnern und anderen Lebewesen.
Gabriela, die Assistentin für Naturwissenschaften. Stets exakt frisiert hält sie hochsymmetrische Zustände für den Inbegriff von Schönheit und steht der Idee, Leben und das damit verbundene Chaos im Universum entstehen zu lassen, mit Skepsis, um nicht zu sagen, tief empfundenem Abscheu gegenüber.
Man macht gerade den ersten Urlaub des Universums am Strand.
Gott runzelte nachdenklich die Stirn, nahm seine Sonnenbrille ab und hielt sie weiter weg und wieder nah ans Auge. „Sagen Sie, haben Sie die auch in meiner Sehstärke?“
Gabriela sah kurz auf. „Sind Sie kurz- oder weitsichtig?“
„Allsehend.“
„Aha. Ja, dann würde eine Fensterglasbrille ausreichen.“
„Ja, das würde wohl reichen. Hauptsache, schön lila. Aber was mir dann noch fehlt, wäre ein Fernglas. Man möchte doch am Strand Schiffe beobachten. Oder Möwen.“
Missmutig starrte Gabriela eine Weile auf den roten Wasserstrahl, den sie um einiges interessanter fand als ein der bloßen Freizeitgestaltung gewidmetes Fernrohr. Wieso verstand wieder niemand die essenzielle Bedeutung von Lichtleitern? Wenn das Fernrohr denn wenigstens für astronomische oder sonstige Forschungszwecke gedacht wäre. Dann fand sie ihre Professionalität wieder und rief nach Laplacie. Dem schwante, dass sein Urlaub nun endgültig beendet war, bemühte sich aber, es positiv zu sehen, denn immerhin ging es bei Fernrohren nicht um Wasserstrahlen. Gabriela zog eine Linie in den Sand und öffnete ihren Urlaubskoffer, in dem sich allzeit bereit neben verschiedenen Interferometern auch einige Protonenmagnetometer und Oszillographen befanden. Neben dem Teilchenbeschleuniger fand sie dann endlich die Linsen. Sie entschied sich für eine Sammellinse und erteilte Laplacie Anweisungen, wo er sie auf der Sandlinie aufstellen sollte.
Dann musste Laplacie ein Papierschiff basteln und vor die Linse setzen. Schließlich drückte Gabriela ihm noch einen Bildschirm in die Hand, der hinter die Linse platziert werden sollte. Gabriela legte sich nun vor die Linse in den Sand und erteilte Befehle, wie Schiff und Schirm vor und zurück bewegt werden mussten. Es ließ sich nicht vermeiden, dass Laplacie dabei ziemliche Dehnungsschmerzen in den Armen bekam, aber für die Wissenschaft müssen eben auch mal Opfer gebracht werden.
„STOPP!!“ schrie Gabriela, als sie endlich ein scharfes Bild des Papierschiffes auf dem Schirm sehen konnte.
Laplacie nutze die Gelegenheit, seine Gliedmaßen zu lockern. Dann betrachtete er das Bild auf dem Schirm und holte ein Maßband. „Hat nich so geklappt, wie? Das Bild is nämlich kleiner als das Original! So kann der Chef damit doch nix anfangen.“
Gabriela war einen Moment aus dem Konzept gebracht. Tatsächlich. Sie zeichnete ein paar Strahlen in den Sand, stellte fest, dass das Papierschiff sich außerhalb der doppelten Brennweite der Linse befand. Nun, dann musste das Bild ja auch kleiner als das Papierschiff sein. Das war ja nun völlig selbstverständlich. Und auch eigentlich gar kein Problem. Man versuchte mal wieder nur, sie durcheinander zu bringen.
Laplacie musste das Papierschiff nun näher und näher an die Linse heranrücken und den Schirm entsprechend weiter weg platzieren (und immer wieder durch einen größeren Schirm ersetzen). Das Bild wurde genauso groß wie das Schiff, als dieses sich in der doppelten Brennweite befand, und schließlich wurde es größer als das Original, als das Schiff sich zwischen der doppelten und der einfachen Brennweite befand, wie Gabriela zufrieden feststellte. Sie verglich ein paar Mal das Original mit dem Bild, bis ihr vom ständigen Hin- und Herbewegen des Kopfes schwindlig wurde, und war zufrieden.
Laplacie beschloss, dass er, da sein Urlaub ohnehin verdorben war, auch gleich seinen Senf zum Experiment dazu geben konnte.
„Das bringt jetzt aber nich wirklich was, oder? Wenn Sie nämlich von dem Schiff da ganz hinten auf dem Meer ein Bild hier auf dem Strand haben wollen, brauchen Sie eine Linse mit einer ganz schön großen Brennweite. Und der Schirm muss ziemlich weit von der Linse entfernt aufgestellt werden. Weiter weg, als das Schiff von der Linse weg is. Irgendwo da hinten hinter den Dünen.“
Gabrielas Gesichtszüge erschlafften kurzzeitig. Dann bereute der Dämon seine vorwitzigen Worte, weil er nun die Anordnung bekam, beide, Papierschiff und Bildschirm, vor der Linse zu platzieren und vor- und zurückzubewegen. Das verursachte zwar keinen Dehnungsschmerz, aber mehrere Knoten in den Armen. Aber wie gesagt, für die Wissenschaft müssen Opfer …
Laplacie starrte auf den Schirm. „Und nu?“ brummte er. „Is kein Bild auf dem Schirm.“
„Natürlich nicht. Du musst von hier gucken.“ Gabriela entfernte den Schirm, kniete sich selbst an seine Stelle und sah von hinten durch die Linse. Laplacie folgte ihr und konnte nun durch die Linse ein vergrößertes Bild des Papierschiffes sehen.
Gabriela war zufrieden. Genau das hatte sie erwartet, offenbar hatte sie die Lupe erfunden. „Weil das vergrößerte Bild, das durch die Lupe zu sehen ist, ein virtuelles Bild ist. Ein Bild entsteht immer dann, wenn jedem Punkt des Gegenstandes ein Punkt im Bild zugeordnet werden kann. Und zwar genau ein Punkt. Wenn also alle Strahlen, die von einem Schiffspunkt ausgehen, in einem einzigen, dem Schiffspunkt entsprechenden Schiffsbildpunkt münden. Wenn wir einfach nur einen Schirm hinter das Schiff halten, ohne Linse meine ich, treffen Strahlen auf ihn, die von den Schiffspunkten in unterschiedlichsten Winkeln ausgehen. Andersherum ausgedrückt, treffen auf jedem Punkt des Schirms Strahlen von allen möglichen Schiffspunkten auf. Deshalb sehen wir ohne Linse kein Bild. Die Linse ordnet nun gewissermaßen die Strahlen und sorgt dafür, dass alle Strahlen eines einzelnen Schiffspunktes auch in einem einzigen dazu gehörenden Bildpunkt auf dem Schirm münden. Die von dem Bild wieder ausgehenden Strahlen fallen dann ins Auge und deshalb sehen wir das Bild. Wir können das Bild auf dem Schirm und das reale Schiff betrachten. Ein Bild, das so auf einem Schirm aufgefangen werden kann, ist ein wirkliches, ein reelles Bild. So. Bei der Lupe ist es aber nun so, dass die von den Schiffspunkten ausgehenden Strahlen überhaupt nicht in einem reellen Bild münden. Sie verlassen die Linse als aufgeweiteter Strahl. Wenn wir also von vorn, das heißt von der Gegenstandsseite aus, auf einen Schirm hinter der Linse gucken – wie wir das eben gemacht haben –, sehen wir gar kein Bild. Wir können den Schirm also getrost ganz weg lassen. Gucken wir nun aber von hinten, also von da, wo wir in den anderen Fällen das Bild hatten, durch die Linse, sehen wir auf einmal ein vergrößertes Bild. Das kommt zustande, weil das Gehirn die hinter der Linse aufgeweiteten Strahlen so verlängert, als gäbe es die Linse nicht, bis sie sich treffen. Und zwar auf der Schiffsseite der Linse. Was wir durch die Lupe sehen, ist deshalb nicht das Schiff selbst, sondern ein virtuelles Bild des Schiffes, das sich scheinbar dort befindet. Im Gegensatz zu einem reellen Bild kann man das nicht auf einem Schirm auffangen, weil das Licht da, wo wir das virtuelle Bild sehen, nie gewesen ist und dort weder Bildpunkte erzeugt noch von diesen wieder ausgegangen ist. Das gaukelt uns das Gehirn bloß vor. Im Gegensatz zu einem reellen Bild, bei dem die Bildpunkte tatsächlich von gebündeltem Licht am Ort des Bildes erzeugt werden.“
Laplacie hatte endlich seine Arme entwirrt und konnte schon wieder den Mund nicht halten.
„Hat Sie das jetzt aber weiter gebracht? Das Papierschiff ist nämlich ziemlich nah dran an der Linse, innerhalb der Brennweite nämlich. Wenn Sie so nah an ein Schiff auf dem Meer rankommen, brauchen Sie nämlich gar keine Lupe mehr. Nämlich.“
Stirnrunzelnd betrachtete Gabriela das widerspenstige Papierschiff, das sich als so resistent gegen eine Beobachtung von ferne erwies. Mit nur einer Linse kam sie offenbar nicht weiter. Irgendwie musste das Schiff an einen Ort innerhalb der Brennweite der Lupe gelangen. Ohne dass man dafür über Wasser gehen musste. Vielmehr, es reichte ja, wenn dort ein Bild des Schiffes war. Man konnte ja dann dieses Bild durch die Lupe betrachten. Dann machte es wiederum auch nichts, wenn das Bild ein verkleinertes war, man musste die anschließende Vergrößerung der Lupe nur entsprechend groß wählen. Das war insofern praktisch, als die von Gott ins Auge gefassten Schiffe sich weit draußen auf dem Meer und damit zwangsläufig jenseits der doppelten Brennweite befinden würden.
Laplacie schlurfte zurück zum Versuchsgelände und positionierte gehorsamst Papierschiff und eine zweite Linse. Gabriela ließ sich wieder im Sand nieder, sah durch die beiden Linsen nun das Papierschiff zufriedenstellend vergrößert und war zufrieden. Fast zufrieden. Das Schiff stand auf dem Kopf. Aber das war ja nun ganz leicht zu lösen – bevor Laplacie den Mund zu einem neuerlichen ungebührlichen Kommentar öffnen konnte, drückte sie ihm eine dritte Linse in die Hand, die zwischen den beiden anderen zu platzieren war. Diese drehte das Bild um, bevor es durch die Lupe vergrößert wurde. Sie hatte endlich das Fernrohr erfunden.
Nun war Gabriela endlich zufrieden. Den Rest – Gehäuse, Tragegurt und so weiter – konnte sie dem technischen Hilfspersonal überlassen. Bis die ersten Schiffe erfunden waren, würde es damit schon fertig werden.
„Aber ...“ Laplacie kratzte sich die grünfellige Stirn. „Wenn auf dem Schirm ohne Linse kein Bild zu sehen ist, weil Lichtstrahlen von allen möglichen Schiffspunkten auf ein- und demselben Schirmpunkt auftreffen, wieso kann man denn dann ein Spiegelbild sehen? Hier!“
Er nahm das Papierschiff, stiefelte ins Meer, strich die Wasseroberfläche glatt und hielt das Schiff über den Wasserspiegel. „Hier müssen doch jetzt auch Schiffsstrahlen von allen … also ich meine von allen Schiffen Strahlen … nein – ach, Sie wissen doch, was ich meine!“
„Natürlich weiß ich, was du meinst. Und natürlich treffen auch auf der Wasseroberfläche auf allen Punkten Strahlen von allen Schiffspunkten auf. Aber jeder davon trifft unter einem anderen Winkel auf die Wasseroberfläche und wird entsprechend auch in einem anderen Winkel reflektiert, wegen des Reflexionsgesetzes. In dein Auge fallen aber nur Strahlen aus einem passenden Winkel – die anderen siehst du nicht. Was dazu führt, dass du ein ordentliches Spiegelbild siehst, weil es bei spiegelnder Reflexion immer nur eine Kombination von Schiffspunkt und Einfalls- bzw. Ausfallswinkel gibt, die den Strahl in dein Auge fallen lässt. So gehört zu jedem Schiffspunkt ein eigener Bildpunkt. In eben dem Winkel, in dem die Strahlen in dein Auge fallen, werden sie dann vom Gehirn hinter den Spiegel verlängert – unter Ignorieren der Reflexion. Denn auch ein Spiegelbild ist ein virtuelles Bild! So ein Schirm dagegen ist natürlich kein Spiegel, der reflektiert diffus, weshalb es mehrere Strahlen zu jedem Schiffspunkt gibt, deren Reflexionswinkel sie in unser Auge fallen lässt. Weshalb es dann kein Spiegelbild mehr gibt.“
Luzie begann, sich zu langweilen. Ein Zustand, der im Allgemeinen zu unvorhersehbaren Ereignissen in ihrer unmittelbaren Umgebung führte.
„Also, Chef, wenn das hier jetzt’n Urlaub sein soll – bei sowas Ödem kamman nich entspannen. Ich brauch Action. Nich mal’n Action-Film kamman hier gucken. Weil hier kein Kabelanschluss is.“ Luzie legte die Hörner in Falten und starrte auf ihren extra mitgebrachten Fernseher. Gott verzog sich mit Krimi und Strandmuschel in sichere Entfernung. Gabriela erwog, den Urlaub abzubrechen und in ihr Labor zu flüchten. Laplacie dagegen begriff das ungeheure, welt-, urlaubs- und ruherettende Potential der geometrischen Optik. „Klar können Sie hier fernsehen! Sie brauchen bloß eine Satellitenantenne!“
„Und einen Kopfhörer bitte“, ergänzte Gott, der schon Erfahrung mit Luzies Lieblingsfilmen hatte.
Laplacie fand nach einigem Suchen in Luzies Urlaubskoffer zwischen dem Presslufthammer und dem Schlagbohrer, unter den 34 Ersatzfeuerzeugen eine Metallscheibe mit den erforderlichen Ausmaßen und bog sie zu einer Parabolantenne zurecht. Noch ein paar Kabel und dies und das und die gelangweilte Kollegin war ruhig gestellt. (Die Ruhe konnte allerdings nur durch ein mit der Kollegin fest verbundenes Vakuum sicher gestellt werden, dass die Ausbreitung von Schallwellen über ihre Kopfhörer hinaus unmöglich machte.)
Derweil setzte die Dämmerung ein. Gott zog in Betracht, mittels göttlicher Allmacht die Erddrehung anzuhalten, um weiter lesen zu können, aber Gabriela war gerade so schön friedlich damit beschäftigt, die Grundlagen der geometrischen Optik zu erweitern (irgendwie war sie bereits bei der Quantenoptik angekommen). Jetzt irgendetwas naturgesetzwidriges zu unternehmen, bedeutete, diese Friedlichkeit ein für alle Mal zu beenden. Momente, in denen sowohl Luzie als auch Gabriela friedlich waren, waren zu selten, um sie leichtfertig durch göttliche Allmacht aufs Spiel zu setzen. Da wandte er sich doch lieber an seinen Lieblingsdämon.
„Du, sag mal, kannst du das Prinzip mit der Parabolantenne nicht mal eben umkehren? Ich bräuchte ein wenig mehr Licht. Einen Scheinwerfer.“
Laplacie runzelte einen Moment die grünfellige Stirn, dann hielt er sich nicht lange mit Erklärungen auf, sondern bastelte einen Scheinwerfer.
Dann war Luzies Film zu Ende und der kurze Moment des Friedens mit ihm. Auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung warf Luzie die immer noch durchsichtigen Glasmurmeln in die Luft und versuchte sich im Jonglieren. Laplacie wäre in dem Zusammenhang das ein oder andere zu Flugbahnen, vertikalen Würfen und Gravitation eingefallen, aber dieser Urlaub stand ja doch eher im Zeichen der Optik. Und die höllische Kollegin war ohnehin völlig resistent gegen das Begreifen physikalischer Grundgesetze. Weshalb die ein oder andere Murmel denn auch in den Dünen oder im Meer verschwand. Dann näherte sie sich dem Scheinwerferstrahl. Laplacie war ganz und gar nicht resistent gegen das Begreifen physikalischer Grundgesetze, sprang auf, rannte zu Gott hinüber, zerrte ihn aus der Strandmuschel. Gott ließ sich nicht stören, die Aufklärung des Mordes stand kurz bevor. Luzie bekam richtig Spaß an der geometrischen Optik, als ein Strahlenbündel aus dem Scheinwerferlicht die Glasmurmel traf und genau in der Strandmuschel fokussiert wurde. Der Spaß wurde zur Begeisterung, als die Strandmuschel in Flammen aufging.
„Hab ich doch gewusst, dass es der Gärtner gewesen sein musste.“ Gott klappte das Buch zu. „Oh, die Kollegin leistet auch einen Beitrag zu Gabrielas Forschungen. Immerhin wissen wir jetzt, warum der Brennpunkt ‚Brennpunkt‘ heißt.“
„Egal, Chef! Jetzt hamwer endlich Feuer und es gibt Würstchen!“
© Wiebke Salzmann, Mai 2009